Was ist Natural Horsemanship?
Ein Beitrag von Eva Winter
„Natural Horsemanship“ ist eine Grundlage der Horsemanship, die ich im Beitrag „Was ist eigenlich Horsemanship“ skizziert habe. In Peter Kreinbergs Buch „The Gentle Touch“ lese ich, dass auch der Begriff „Natural Horsemanship“ Philosophie und Praxis des gewaltfreien Umgangs mit Pferden umschreibt. Sie gehe auf die traditionelle kalifornische Vaquero-Tradition in den USA zurück, die in ihrer heutigen Form seit den 1930er Jahren von Tom Dorrance und später durch von ihm ausgebildeten Trainer wie Ray Hunt verbreitet wurde.
Der „Vaquero“, vom spanischen „Vaca“ für Kuh, ist ursprünglich der berittene Kuhhirte Spaniens. Als die Spanier nach Kalifornien kamen, haben sie ihre Reit- und Arbeitsweise beibehalten und den dortigen Umgang mit Arbeitspferden verändert. Hier habe ich also die Antwort auf die Frage nach der Rolle der Westernreiter in der Horsemanship. Dorrance und Hunt haben den kalifornischen Vaqueros, den Cowboys, und ihren Ausbildern Wege zu einer sanfteren Pferdeausbildung als der bis dahin üblichen rauhen Zwangsmethode aufgezeigt.
Typisch: Die Round-Pen-Ausbildung
Ich zitiere Ray Hunt: „Let it happen. Make the right things easy and the wrong things difficult“. Lass es geschehen. Mach die richtigen Dinge einfach und die falschen schwierig.
Hunts Methode wurde von vielen Cowboys und Trainern aufgegriffen und seit den 1970er Jahren als „Round-Pen-Ausbildung“ verbreitet. Weit über die Kreise von Pferdemenschen hinaus erlangte sie durch den Film „Der Pferdeflüsterer“ große Bekanntheit. Die darin gezeigte Praxis des zügigen Antreibens eines Pferdes auf einer stabil eingezäunten runden Bahn, um es zur Unterordnung zu drängen, beeindruckt auch in der Realität viele Menschen mit schnell sichtbaren Ergebnissen. Kritiker bemängeln allerdings, dass diese Methode bei Pferden weder eine dauerhafte Änderung von Verhaltensweisen noch eine sorgfältige und indivdiuelle Erziehung und Grundaubildung herbeiführen könne.
Häufig werden für das Training ein Knotenhalfer, ein Arbeitsseil und der „Stick“, ein peitschenähnlicher Stab mit einer Schnur an der Spitze, genutzt, um dem Pferd Signale zu übermitteln. Mir fällt auf, dass die dünnen Knotenhalfter zwar minimalistisch und nach wenig Einflussnahme aussehen, ganz im Gegenteil aber sehr scharf und folgenschwer einwirken können. Definitiv sind das Halfter, die in sensible und kundige Hände gehören. Und ich empfinde sie nicht als natürlicher, als es ein Stück Metall im Maul des Pferdes wäre.
Das Parelli Natural Horsemanship
Gebe ich „Natural Horsemanship“ in eine Suchmaschine ein, springt mir vielfach der Name „Parelli“ ins Auge. Inspiriert von Mentoren wie Tom Dorrance und und Ray Hunt hat der Amerikaner Pat Parelli in den 1980er Jahren das Konzept der „Parelli Natural Horsemanship“ entwickelt. Seither hat er seine Idee der natürlichen Grundausbildung von Pferd und Mensch tausenden Menschen weltweit nahegebracht, unterstützt von seiner Frau Linda und einer wachsenden Zahl von ihm ausgebildeter und zertifizierter Parelli-Instruktoren. Auch bei Parelli geht es darum, einen „natürlichen“ Umgang mit dem Pferd zu pflegen. Sich in die Reaktionsweise eines Pferdes einzufühlen und es mit Signalen zu lenken, die es aus der Gemeinschaft der Pferde kennt.
Das „Natürliche“ ist die Abgrenzung gegenüber chemischer oder mechanischer Einflussnahme auf das Pferd, zum Beispiel in Form von Medikamenten oder Hilfszügeln. Darüber hinaus will die Parelli-Schule auch die persönliche Entwicklung von Menschen fördern, zum Bespiel hinsichtlich ihrer Fähigkeiten zu klarer Kommunikation und Führungsstärke.
Horsemanship und Natural Horsemanship
Meine Erkenntnis: „Horsemanship“ und „Natural Horsemanship“ haben deutliche Überschneidungen. Beides sind Ideale, die sowohl die Einstellung von Menschen gegenüber Pferden wie die Umgehens- und Arbeitsweise mit ihnen zum Thema haben. Sie sind im Reitsport disziplinübergreifend, haben ihre Wurzeln aber in der Arbeitsreiterei von Viehhirten.
Das Konzept „(Natural) Horsemanship“ nutzt die hierarchische Struktur einer Pferdegruppe, um in klarer Kommunikation von Über- und Unterordnung die Führungsrolle des Menschen im Rahmen einer respektvollen Atmosphäre zwischen Mensch und Pferd zu festigen.
Eine deutliche Abgrenzung sehe ich nicht zwischen Horsemanship und Natural Horsemanship, wohl aber gegenüber „Pferdeflüsterern“. Pferdeflüsterei klingt für mich nicht nach Horsemanship, sondern nach Magie, unerreichbar für die breite Masse der Pferdemenschen – und das wäre sehr, sehr schade für die Pferde. Im Gegenteil aber ist kenntnisreiches, respekt- und vertrauensvolles Miteinander etwas, das jeder Mensch leben kann, der bereit ist, sich auf das Wesen von Pferden einzulassen, sich selbst zu hinterfragen und zu lernen. Ich schließe mit Pat Parelli: “Ich brauche nicht zu flüstern, ich weiß was ich sage.”