Was ist eigentlich „Horsemanship“?
Ein Beitrag von Eva Winter
Ist „Horsemanship“ also nicht nur eine Einstellung, sondern auch eine Reitweise? Oder eben nicht reiten, sondern „Bodenarbeit?“ Und ist „Natural Horsemanship“ nicht ein weißer Schimmel? Im folgenden versuche ich, ein wenig Licht in die Angelegenheit zu bringen.
Bei Wikipedia heißt es: „ ‚Horsemanship‘ (von Horseman, engl.: Pferdemensch) bezeichnet die allgemeine Reitkunst und den fairen Umgang mit dem Pferd. Im erweiterten Sinne umfasst der Begriff Horsemanship auch die artgerechte Haltung und den fairen Umgang mit den Mitreitern. Bei manchen Pferdesport-Wettbewerben, beispielsweise den Hestadagar wird die Horsemanship, also der Umgang des Reiters mit dem Pferd während der Prüfung bewertet. Heute wird zwischen allgemeiner “Horsemanship” und “Natural Horsemanship” unterschieden.“
Horsemanship
Ich stelle fest, Horsemanship ist kein eindeutig definierter Begriff. Meine Recherchen ergeben als erste Zusammenfassung: „Horsemanship bedeutet klare Regeln für Pferd und Mensch. Der Mensch bleibt fair in seinem Umgang mit dem Pferd. Er versucht zu verstehen, wie Pferde fühlen und kommunizieren und das Pferd in der Signalsprache der Pferde zu lenken. Infolgessen ist das Pferd achtsam gegenüber dem Menschen“. Wie kann das im Alltag aussehen? Das respektvolle Miteinander von Pferd und Mensch soll sich mittels Bodenarbeit, klarer Kommunikation und Körpersprache erarbeiten lassen. Was bitte heißt jetzt „Bodenarbeit“? Gebe ich diesen Begriff in die größte aller Suchmaschinen ein, erhalte ich gefühlt ebensoviele Treffer wie für „Horsemanship“.
Sehr kleiner Exkurs Bodenarbeit
Grob formuiert: Bodenarbeit findet zwischen Pferdefreizeit im Stall oder auf der Weide und dem Reiten statt. Sie ist keine Erfindung der Neuzeit. Bodenarbeit gibt es schon seit den Anfängen der Reiterei. Wenn Pferd und Reiter zum Beispiel aushandeln, wer von beiden in dieser Zweierbeziehung das Tempo angibt. Will sich der Reiter beim Führen nicht täglich von seinem Pferd in die Hacken treten lassen, überzeugt er es im besten Fall freundlich, aber nachdrücklich davon, Abstand zu ihm zu halten. Longieren kann Bodenarbeit sein, genau wie Geschicklichkeitsübungen und Seitwärtstritte an der Hand. Und Gelassenheitstraining. Früher musste ein Soldat seinem Reittier beibringen, im Gefecht die Nerven zu behalten. Heute kann es darum gehen, mit einem Pferd zu üben, im Dressurviereck nicht erschrocken loszugaloppieren, wenn irgendwo ein Regenschirm geöffnet wird.
Eine Vielzahl von aufeinander aufbauenden Übungen sensibilisieren Reiter und Pferd für gegenseitige feine Signale und lassen Vertrauen entstehen. Dadurch wird es möglich, ein Pferd auch vom Boden aus in Balance zu bringen, Schrittfolgen zu erarbeiten, sein Selbstbewußtsein und die Bindung an seinen Menschen zu stärken. Ich zitiere aus dem Buch „The Gentle Touch“ von Peter Kreinberg: „Die Bodenarbeit schafft die Voraussetzung für reiterliche Aktivitäten. Sie ist nicht Selbstzweck sondern baut Reiter und Pferd eine Brücke vom Umgang am Boden zur Arbeit im Sattel“.
Zurück zur Horsemanship
Horsemanship ist also zum einen eine Einstellung, zum anderen aber auch eine Methode, mit Pferden zu arbeiten. Wichtig dabei sind die Eindeutigkeit der ausgesendeten Signale – die Klarheit der Kommunikation – und Konsequenz. Ich weiß, unmißverständlich zu kommunizieren ist auch für Menschen untereinander nicht immer einfach. So kann die Arbeit im Sinne von Horsemanship auch die Beschäftigung eines Menschen mit dem eigenen Kommunikationsverhalten erfordern.
Zur Verständigung zwischen Mensch und Pferd werden die hierarchischen Strukturen innerhalb einer Pferdegruppe genutzt. Die Tiere handeln ihre Machtverhältnisse nach dem Prinzip des steigenden Drucks aus. Reicht ein strenger Blick auf ein zudringliches Pferd nicht aus, wird sich das abwehrende Tier aufrichten, danach Drohgesten einsetzen, sich auf den Übeltäter zu bewegen und ihn zuletzt körperlich maßregeln – und andersherum. Wer sich abwendet, signalisert Nachgeben und darf sich aus der Konfrontation zurückziehen, nachgekartet wird nicht. Entsprechend versucht der Mensch, das Pferd zum Ausweichen zu bewegen, um ihm gegenüber die ranghöhere, bestimmende Position einzunehmen. Sobald das Pferd leistet, was der Mensch von ihm erwartet, lässt der Mensch zur Belohnung den Druck nach.
Eine weitere Regel der Horsemanship ist, in kleinen Schritten vorzugehen. Zwar kann ich mir von meinem vierjährigen Pferd einen fliegenden Galoppwechsel unter dem Sattel wünschen. Der Weg dahin aber erfordert Zeit und Geduld und führt über viele kleine Zwischenziele.
Genau wie die Bodenarbeit sind auch die „Horsemen“ keine moderne Erfindung, allenfalls mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Die lateinischen „Eques“, französischen „Chevaliers“, italienischen „Cavaliere“ und spanischen „Caballeros“ sind alle: Pferdemenschen. Diese Begriffe drücken seit je her das Bestreben aus, sich in das Wesen eines Pferdes einzufühlen. Und zwar in verschiedenen Reitweisen. Übertragen in die Gegenwart heißt „Pferdemensch“ sein auch, sich die eigene Motivation für den Umgang mit Pferden bewußt zu machen.