Die äußeren Zeichen: Entspanntes Sitzen des Reiters im großen Westernsattel, in coolen Stiefeln, Zügel in einer Hand, Cowboyhut auf dem Kopf. Soweit klar. Aber was steckt dahinter?
„Westernreiten“ hat seinen Ursprung in der Zeit, als sich europäische Auswanderer als Rinder-Farmer in den USA niederließen. Die Farmer mussten ihr Vieh versorgen, kontrollieren und treiben. Dazu benötigten sie ein Fortbewegungsmittel, das sie über weite Strecken zuverlässig trug und ihnen dabei ermöglichte, sich auf ihre Arbeit als Rinderhirten zu konzentrieren.
„Nervenstärke, Trittsicherheit im Gelände, sowie Schnelligkeit bzw. gutes Sprintvermögen, um mit einem davon stürmenden Rind Schritt halten zu können, waren Eigenschaften, die ein Cowboy von seinem Partner Pferd erwartete.“ (Homepage EWU, „Erste Westernreiter Union Deutschland e.V.”)
Die Reitweise der Cowboys musste dem Zweck des Rinderhütens dienen. Sie ritten nicht, um möglichst fein zu reiten, sondern als Mittel zum Zweck: Um so effektiv wie möglich mit ihren Rindern arbeiten zu können. Deshalb sollte ihnen ein kurzes Signal reichen, um sich mit dem Reitpferd zu verständigen. Westernreiten ist „Signalreiten“.
Nach einem schnellen Impuls soll das Pferd wissen, was es zu tun hat, und das bei möglichst lockerer Zügelführung. Denn mindestens eine Hand muss der Cowboy frei haben, um zum Beispiel mit dem Lasso ein Rind zu fangen. Damit steht diese Reitweise im Gegensatz zur „englischen Reitweise“, die eine konstante Verbindung zwischen Pferdemaul und Reiterhand – die „Anlehnung“ zum Ziel hat.
Was bedeutet Westernreiten heute in Deutschland?
Gut angepasst an Pferd und Reiter, lässt es sich im Westernsattel stundenlang reiten.
Zum einen natürlich allgemein (Freizeit-) Reiten im Westernsattel. Vom täglichen Ritt bis zu Wander- und Distanzritten, unter Einbeziehung von mehr oder weniger Elementen des Signalreitens.
Im Laufe der Jahre haben sich darüber hinaus einzelne Aspekte aus der Arbeit mit Rindern zu eigenen Disziplinen entwickelt. Diese werden sehr ambitioniert auch in Shows und Wettbewerben geritten.
Beispiele für die unterschiedlichen Disziplinen im Westernreiten
Reining
Dieser Name stammt von “Reins“, den Zügeln. Die überwiegend im Galopp gerittenen vorgeschriebenen Aufgaben (Pattern) zeigen die athletischen Fähigkeiten eines typischen Ranch-Pferdes. Zu den geforderten Manövern zählen Spins (schnelle Hinterhandwendungen), Sliding Stops (Halten auf der Hinterhand), Zirkel, fliegende Galoppwechsel, Roll Backs (gesprungener Richtungswechsel) und Rückwärtsrichten.
Reining gilt als Dressurprüfung des Westernreitens. Die Pferde sollen ohne viel sichtbare Einwirkung der Reiter ihren Hilfen folgen und jederzeit kontrollierbar sein.
Der “Sliding Stop” ist eine typische Lektion aus dem Westernreiten.
Cutting
Der Reiter muss ein Rind aus einer Herde heraus”schneiden” (to cut) und es daran hindern, zu den anderen Tieren zurückzukehren. Der Reiter hat eine Zeitvorgabe, um die Fähigkeiten seines Pferdes am Rind zu zeigen und darf er keine Zügelhilfen mehr geben, wenn das Rind von der Herde abgesondert ist. Sein Pferd muss selbstständig wissen, wie es zu arbeiten und sich zu bewegen hat („Cow Sense“).
Working Cowhorse
Diese Prüfung kombiniert Reining- mit Cow Sense. Pferd und Reiter beweisen ihr Können in einer verkürzten “Trockenarbeit“ (Dry Work), danach ist Fence Work bzw. Cow Work verlangt. Hier müssen Reiter und Pferd ein Rind zunächst mit Cutting-Manövern an der kurzen Seite der Arena halten (boxing). Anschließend wird es in die Bahn entlassen und muss kontrolliert an der langen Seite mindestens einmal in jede Richtung gewendet werden. Den Abschluss bildet das Zirkeln mit dem Rind auf jeder Hand, im Idealfall in der Bahnmitte.
Trail
Beim Trail stellt das Pferd seine Geschicklichkeit unter Beweis. Ein Trail-Parcours simuliert verschiedene Situationen, die einem Reiter auf einem Trail begegnen können. Wichtig ist, dass sich das Pferd selbstständig und geschmeidig durch die Hindernisse bewegt.
Die Pferde überqueren beispielsweise eine Holzbrücke, gehen durch ein Tor und müssen durch verschieden angeordnete Stangen im Schritt, Trab und Galopp manövriert werden, beispielsweise rückwärts durch ein “L”. Dabei werden hohe Anforderungen an die Durchlässigkeit und Wendigkeit der Pferde gestellt.
Western Pleasure
Bei dieser Prüfung stellen sich die Reiter den Richtern in Gruppen vor. Gezeigt werden die drei Grundgangarten Walk (Schritt), Jog (Trab) und Lope (Galopp) sowie eine Trabverstärkung. Das Pferd muss auf feinste Hilfen willig und sofort reagieren. Alles soll mühelos und als Vergnügen (Pleasure) erscheinen. Die Pferde werden nach ihrer Gangqualität beurteilt und sollen am losen Zügel ruhig und ausgeglichen auf der Rail (Hufschlag) laufen. Der Richter gibt Tempo und Richtung vor.
Auch “Barrel Race”, das Reiten um Tonnen auf Zeit, ist eine Disziplin des Westernreitens.
Ranch Riding
Diese Disziplin spiegelt die Gebrauchsfähigkeit eines guten Ranch-Pferdes. Es soll sich in guter Vorwärtsbewegung einfach steuern und regulieren lassen. Hauptaugenmerk wird dabei auf Bewegungen, Haltung und Brauchbarkeit eines Arbeitspferdes gelegt.
Die geforderten Manöver beinhalten Walk, Jog und Lope auf beiden Händen, außerdem Extended Jog und Lope auf mindestens einer Hand. Weiterhin müssen Stopps, Richtungswechsel und Rückwärts während der Prüfung gezeigt werden. Der Schwerpunkt der Bewertung liegt auf Vorwärtsbewegung und freien, fließenden Bewegungen, die Übergänge sollen sauber und fließend sein.
Von wegen alles easy und gechillt – Westernreiten kann auch eine mächtig sportliche und spritzige Angelegenheit sein, die ohne feine Hilfengebung und eine intensive Pferd-Reiter-Verbindung nicht funktioniert.
Vielleicht ist es auch, egal ob entspannt oder getragen von sportlichem Ehrgeiz, ein Stück Lebensphilosophie, von der Reitweise über die Kleidung bis zur inneren Haltung. Auf jeden Fall hochspannend und für die Reiter anderer Disziplinen einen Blick über den Tellerrand wert!
Eva Winter